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Die Cabrio-Seilbahn für das Klima

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Nur weil eine Touristenattraktion mit Nachhaltigkeitsbegriffen beschrieben wird, macht sie das nicht automatisch umweltfreundlich.

Von Michael Matiu.

©carezza.it

Seit Februar 2022 läuft in Südtirol die erste Cabrio-Seilbahn Italiens von Tiers zur Frommer Alm. Mit innovativer Südtiroler Ingenieurs- und Architekturkunst ist eine neue Touristenattraktion am Rosengarten enstanden, die im Winter und Sommer genutzt werden kann. Die neue Seilbahn soll die Attraktivität des Gebietes steigern und zeitgleich umweltfreundliche Mobilität fördern. Die ökonomischen Vorteile sind offensichtlich. Das Projekt fördert in direkter Weise die Bauherren, die die Seilbahn gebaut haben, sowie die Gastronomie und das Hotelgewerbe, die von den Touristenströmen profitieren.

Vom ganzen Konzept und Projekt wird in den Medien und von den Betreibern der Blick allerdings nur auf ein Ziel gerichtet, nämlich die Förderung der “umweltfreundlichen Mobilität”. Umweltfreundlich ist es nur in der Hinsicht, dass die Seilbahn mit 100% grüner Energie betrieben wird. Diese Argumentation ist ein typisches Beispiel für Rosinenpicken. Das Betreiben der Seilbahn ist tatsächlich klimaneutral, andere wesentliche Punkte werden aber ignoriert.

Der Bau der Seilbahn war mit Sicherheit nicht umweltfreundlich. Bei Thema Nachhaltigkeit muss aber die gesamte Lebensdauer betrachtet werden, also von der Herstellung über den Betrieb bis hin zur Entsorgung. Zum Beispiel sind bei E-Autos die Emissionen während der Herstellung viel größer als nachher im Betrieb, während es bei Verbrennern genau andersherum ist. Achtung, Spoiler: E-Autos sind trotzdem klimafreundlicher als Verbrenner. Deshalb ist es absurd, wenn nur die eine “nachhaltige” Rosine (der Betrieb) rausgepickt wird. Eine solche Art der Argumentation ließe sich ins Absurde treiben. Selbst ein Dieselfahrzeug kann als klimaneutral bezeichnet werden, wenn argumentiert wird, dass es eh die meiste Zeit in der Garage steht, wo es keine Emissionen erzeugt.

Was das Versprechen der “sanften Mobilität” der Seilbahnbetreiber außer Acht lässt, ist, dass die meisten Besucher mit dem Auto in die Berge anreisen. Dessen ist man sich vor Ort bewusst, ansonsten würde kein neuer Parkplatz vonnöten sein. Somit mag das Seilbahnfahren an sich zwar nachhaltig sein, aber die An- und Abreise ist es meistens nicht. Folglich führen mehr Besucher zu mehr Emissionen, obwohl die neue Attraktion klimaneutral betrieben wird. Das steht im Widerspruch zum Ziel der Umweltfreundlichkeit.

Es ist gut, wenn die Wirtschaft den gesellschaftlichen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität mitträgt und mitgestaltet. Problematisch wird es, wenn so wie hier beinah drei Viertel der erheblichen Kosten durch öffentliche Beiträge finanziert werden. Schon allein deshalb tragen alle Verantwortlichen der Öffentlichkeit gegenüber die Verpflichtung, ehrlich und transparent über die Motive ihrer Investition zu sprechen. Was wir hier erleben ist allerdings ein Bullshitbingo mit Nachhaltigkeitsbegriffen. Klingt alles schön, steckt aber nichts dahinter. Fahrlässiges oder vorsätzliches Täuschen zieht Nachhaltigkeitsbestrebungen ins Lächerliche. Dadurch stumpft die Öffentlichkeit dem Thema gegenüber ab. Leidtragende sind diejenigen, die Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit ernst nehmen – und am Ende die ganze Gesellschaft.

Ein Gedanke zu „Die Cabrio-Seilbahn für das Klima“

  1. Treffende Argumentation, allerdings ist zusätzlich zu bezweifeln, dass die neue Tierser Seilbahn ausschließlich mit grüner Energie (also Strom aus Wasserkraft oder anderen erneuerbaren Energieträgern) erzeugt wird. Wenn die Seilbahn nämlich nur den in Südtirol üblichen ALPERIA-Strom mit dem nationalen Energiemix bezieht, dann stammen dort (Stand 2021) nur 35% aus erneuerbaren Quellen. Der Rest aus Kohle (!), Erdöl und vor allem Erdgas und etwas Atom. Vor allem im Winter bezieht Südtirol den größten Teil seines Stroms aus dem nationalen Netz, nicht aus der Stromproduktion im Land aus Wasserkraft. Jede zusätzliche Schneekanone und Aufstiegsanlage für den Winterbetrieb ist eine direkte CO2-Schleuder, weil sie eben den Stromverbrauch ständig erhöht.
    Nicht erwähnt hat der Autor den Umstand, dass die Straße auf den Nigerpass, also Richtung Bergstation der Frommer-Alm-Seilbahn, nicht gesperrt worden ist. Also nach wie vor – trotz neuer und teurer Seilbahn – jede Menge Leute mit dem PKW der Seilbahn hinterher fahren.

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